Süddeutsche Zeitung: Die Serie "L'ora" schildert den Kampf einer Zeitungsredaktion gegen die Mafia, ungeschönt und beeindruckend
Süddeutsche Zeitung, 19. Januar 2022, 9:12 Uhr, von Carolin Gasteiger
Die Hände des jungen Mannes klammern sich an die Kamera, die er um den Hals trägt. Zitternd steht er da, in Unterhosen. Eigentlich wollten seine Kollegen und er hier im Bordell feiern. Aber die Mafia macht den Abend für Niccolò “Nic” Ruscica zu einer unerwarteten Premiere: Zum ersten Mal in seinem Leben sieht er ein Mordopfer, nach einem Kugelhagel liegt die Puffmutter mit schreckgeweiteten Augen auf dem Sofa. Niccolò Ruscica hält die Kamera fest so gut es geht – und drückt ab.
Szenen wie diese, unvermittelt, fein choreografiert, sind es, die die italienische Serie L’ora – Worte gegen Waffen, die jetzt auf Sky läuft, nicht zu einer x-beliebigen Produktion über die Mafia machen. Die Serie beschönigt, verschweigt oder verbirgt nichts – und ist bildstark inszeniert.
“L’ora” – die Stunde – ist der Name einer linken Tageszeitung, die in den Fünfzigern in Palermo einfach nicht aus den Miesen kommt. Zu wenige Exemplare werden verkauft, die Redakteure halten lieber kommunistische Parteisitzungen in der Teeküche ab, schreiben Gedichte oder probieren Rezepte aus. Der Alltag, die wirtschaftliche Situation, wer weiß schon was, hat sie zermürbt. Bis Antonio Nicastro kommt, der neue Chefredakteur. Voller Tatendrang, professionell und vor allem furchtlos, immer mit einer Kippe in der Hand. Claudio Santamaria arbeitet sich als Nicastro herrlich selbst dabei auf, aus diesem trägen, verrückten Haufen wieder Journalisten und aus L’ora wieder eine Zeitung zu machen.